Hannover (red). Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium (ML) fördert ein Forschungsprojekt der Technischen Universität (TU) Dresden, mit dem ein Verfahren zur frühzeitigen Geschlechtsbestimmung im Hühnerei entwickelt und zur Praxisreife überführt werden soll. Mit der Firma Agri Advanced Technologies (AAT) aus Visbek konnte darüber hinaus ein kompetenter Partner für das gemeinsame Projekt „Optisch-spektroskopische in-ovo Geschlechtsbestimmung des Hühnereies für den praktischen Einsatz in der Brüterei“ gewonnen werden.
Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast: „Das ist wirklich ein Meilenstein beim Ausstieg aus dem Kükentöten! Uns war es wichtig, ein Verfahren zu entwickeln, das eine Geschlechtsbestimmung vor dem kritischen Tag sieben ermöglicht, an dem nach wissenschaftlichen Erkenntnissen davon ausgegangen werden muss, dass das Schmerzempfinden des Hühnerembryos beginnt. Aufgrund der hohen Tierzahlen sehe ich Niedersachsen besonders in der Verantwortung, beim Ausstieg aus dem Töten der männlichen Küken der Legelinien voranzugehen. Ich setze dabei – neben der Aufzucht von Zweinutzungshühnern – insbesondere auf die Geschlechtsbestimmung im Ei zu einem möglichst frühen Zeitpunkt.“ Die Fördersumme des ML für das Forschungsvorhaben beläuft sich auf rund 248.000 Euro.
Prof. Gerald Steiner, Projektleiter an der TU Dresden: „Gemeinsam mit der Universität Leipzig haben wir in den zurückliegenden Jahren die optisch-spektroskopische Geschlechtsbestimmung entwickelt. Das Verfahren hat mehrfach seine Leistungsfähigkeit im Labormaßstab bewiesen. Der Schritt aus dem experimentellen Stadium in die Praxis erfordert nochmals erhebliche Anstrengungen und trägt auch Risiken, die durch das Förderprojekt unterstützt bzw. getragen werden. Unser Ziel ist es, mit wissenschaftlicher Kompetenz die methodische Entwicklung mit dem Wirtschaftspartner soweit voranzutreiben, dass die Translation der optisch-spektroskopischen Geschlechtsbestimmung in die Praxis der Brütereien ein Erfolg für den Tierschutz wird.“
Jörg Hurlin (Geschäftsführer AAT): „Unser Ziel ist es – im Sinne des Tierschutzes – die Geschlechtsbestimmung zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu ermöglichen. Unsere Aufgabe im Rahmen des Projekts ist die Entwicklung einer Automatisierung für den hier verfolgten Lösungsansatz, die den hohen Ansprüchen einer modernen Brüterei hinsichtlich der Messgenauigkeit, aber auch des Durchsatzes gerecht wird“, so Hurlin. „Das in unserem gemeinsamen Projekt bearbeitete, Raman-spektroskopische Verfahren wäre nach aktuellem Stand der derzeit nachhaltigste Lösungsansatz am Markt.“
Das Projekt läuft bis Ende 2022, sodass der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) avisierte Ausstiegstermin aus Verfahren, die die Geschlechtsbestimmung erst nach Tag sechs leisten können, eingehalten werden soll.
Hintergrund
In deutschen Zuchtbetrieben werden routinemäßig rund 45 Millionen männliche Küken, unmittelbar nach dem Schlupf getötet, eingefroren und – insbesondere in Zoos – als Tierfutter verwertet. Rund die Hälfte der deutschlandweit aus eingelegten Bruteiern geschlüpften Legehennenküken werden in Niedersachsen produziert.
Für das Töten der männlichen Küken aus wirtschaftlichen Gründen liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes kein vernünftiger Grund (im Sinne von § 1 Satz 2 des Tierschutzgesetzes) vor; das Bundesverwaltungsgericht hat dieses Vorgehen jedoch für eine Übergangszeit, bis praxistaugliche Lösungen vorliegen, gebilligt (vgl. BVerwG 3 C 28.16).
Nach einem von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner vorgelegten Gesetzesentwurf soll das Kükentöten nach dem 31. Dezember 2021 verboten sein. Alle derzeit marktreifen Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei werden in einem Zeitraum vom 9. bis 13. Bebrütungstag durchgeführt (Insgesamt wird ein Küken 21 Tage ausgebrütet). Der Entwurf sieht darüber hinaus ab dem 1. Januar 2024 ein Verbot des Kükentötens von Hühnerembryonen im Ei bereits nach dem 6. Bruttag vor. Mit dem neuen Verfahren, das die Wissenschaftlerinnen der TU Dresden gemeinsam mit dem Praxispartner AAT zur Marktreife führen möchten, wird somit eine praxistaugliche, frühzeitige Lösung in Aussicht gestellt, die auch den avisierten tierschutzrechtlichen Vorgaben Rechnung trägt.
Niedersachsen setzt sich darüber hinaus auch für die Aufzucht von Zweinutzungshühnern ein. Zudem werden in Niedersachsen Küken seit Jahren nicht mehr „geschreddert“, denn seit 2011 ist bereits geregelt, dass für eine Übergangszeit – bis zum Vorliegen einer praktikablen Lösung – das Töten der Küken nur toleriert wird, wenn sie mit Kohlendioxid (CO2) getötet werden und als ganze Tierkörper zur Ernährung anderer Tiere dienen.