Goslar (red). Die Umsetzung der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplanten Krankenhausreform in ihrer jetzigen Form bedroht zahlreiche Kliniken in ihrer Existenz und gefährdet massiv die Gesundheitsversorgung in Niedersachsen. Dies zeigt eine aktuelle Auswirkungsanalyse, die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) vorgestellt wurde. Deren Analyse deckt sich mit der aktuellen Auswirkungsanalyse des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken (BDPK) und Schätzungen des Klinikkonzerns Asklepios. Statt Lösungen für die drängenden Probleme wie die Unterfinanzierung und den Fachkräftemangel zu bieten, wird kleinen Kliniken der wirtschaftliche Boden unter den Füßen weggezogen und die Bürokratie ausgebaut. Asklepios fordert deshalb eine erneute kritische Auseinandersetzung mit den Reformvorschlägen. Zudem darf der Dialog darüber die Vertreter:innen der Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen nicht ausschließen.
Adelheid May, Asklepios Regionalgeschäftsführerin Region Harz in Niedersachsen, kritisiert überdies die politischen unzumutbaren Rahmenbedingungen für Kliniken und warnt: „Es fehlen Lösungsansätze für den Personalmangel und die notwendigen Investitionsmittel für die Gesundheitsreform. Fakt ist: Angesichts der historisch hohen Inflation droht weiterhin eine wirtschaftliche Notlage vieler Kliniken in Deutschland. Steigende Preise für Energie und Medizinprodukte verschärfen die durch die Corona-Pandemie verursachten erheblichen Vorbelastungen. Das deutsche Gesundheitssystem leidet an akutem Fachkräftemangel, die Pflege ist besonders betroffen, hier muss die Politik schnell durch Ausgleichsmaßnahmen handeln. Dazu gehören, die Bürokratie abzubauen und echte Entlastungen.“ Adelheid May weiter: „Trotz Investitionsverpflichtung der Bundesländer müssen Krankenhäuser vieles selbst finanzieren. Eigentlich müssten neue medizinische Geräte von den Bundesländern komplett finanziert werden. Doch da die meisten Bundesländer dieser Verpflichtung nur teilweise nachkommen, müssen viele Kliniken Gewinne erwirtschaften, um die Lücke zwischen dem notwendigen Investitionsbedarf und der von den Ländern tatsächlich getragenen Finanzierung zu füllen. Einer Studie der Deutschen Krankenhausgesellschaft zufolge betrug der ermittelte Investitionsbedarf der Kliniken 2020 mehr als sechs Milliarden Euro. Dem entgegen stehen nur rund drei Milliarden Euro, die die Länder für Klinik-Investitionen getragen haben. Inflationsbereinigt hat sich die Fördersumme seit 1991 beinahe halbiert.“
Die drohende Entwicklung wird durch die Reformpläne von Lauterbach weiter verschärft, der Grund: Der aktuelle Entwurf der Reform teilt Krankenhäuser über das gesamte Bundesgebiet hinweg in drei verschiedene Versorgungsstufen ein. Entscheidend sind dabei nicht regionale Begebenheiten, sondern einzig das im Krankenhaus existierende Leistungsangebot. Diese Einteilung hat dramatische Folgen für das Versorgungsangebot in Deutschland. Beispiel Geburtshilfe: 2020 gab es noch 593 Standorte mit einer Geburtshilfe, nachdem deren Zahl in den vergangenen Jahren bereits deutlich abgenommen hatte. Der Reformkommission zufolge soll dieses Angebot künftig aber nur noch an Standorten mit Level 2 oder 3 betrieben werden. Da die Mehrheit der bisherigen Standorte allerdings in Level 1 eingestuft würde, müssten diese ihre Stationen aufgeben. Die DKG-Auswirkungsanalyse zeigt: Damit verblieben in Deutschland nur noch 227 Standorte – 52 Prozent aller Patientinnen in der Geburtshilfe müssten sich einen neuen Versorger suchen.
Die Auswirkungen der DKG-Analyse zufolge konkret für die Region:
Der DKG-Analyse zufolge fallen in Niedersachsen 112 Krankenhäuser in Stufe 1 (nur mit Grund- und Notfallversorgung), 13 Krankenhäuser in Stufe 2 (Regel- und Schwerpunktversorgung) und 10 Krankenhäuser in Stufe 3 (Maximalversorgung). Die Auswirkungen in den einzelnen Fachrichtungen der Kliniken in Niedersachsen sind demnach bei der angestrebten Reform gravierend:
- Geburtshilfe: Der DKG-Analyse zufolge gibt es (Stand Jahr 20220) 63 Standorte in Niedersachsen, die relevante Versorger in der Geburtshilfe sind – nach Einschränkung auf Häuser mit Versorgungsstufe Level 2 oder 3 wären es nur noch 23 Standorte. Folge: 53 Prozent der Patient:innen müssten sich einen neuen Versorger suchen, wenn die Versorgungsangebote an Häusern außer Level 2 und 3 wegfielen.
- Bei der Allgemeinen oder Komplexen Neurologie, bei der es der DKG-Analyse zufolge (Stand 2020) 28 Standorte in Niedersachsen gibt, wären es nach Einschränkung auf Häuser mit Versorgungstufe Level 2 oder 3 nur 19 Standorte – hier müssten sich demnach 31 Prozent der Patient:innen entsprechend einen anderen Versorger suchen, wenn die Versorgungsangebote an Häusern außer Level 2 und 3 wegfielen.
- Bei der interventionellen Kardiologie sehe es demnach nicht besser aus in Niedersachsen: Von den (ebenfalls Stand 2020) 59 Standorten in Niedersachsen, die diese Leistungen dort anbieten, wären nach Einschränkung auf Level 2 oder 3, lediglich 21 Standorte übrig – hier müssten 58 Prozent der Patient:innen an andere Standorte ausweichen.
Allgemein gilt: Durch diese reformbedingte Aufteilung haben kleinere Kliniken im ländlichen Raum das Nachsehen: Stufe-1-Häuser werden in einen Wettlauf um die Einordnung in eine höhere Versorgungsstufe gedrängt, wobei sie sich die Investitionen dafür nicht leisten können. Das generelle Problem der Unterfinanzierung des deutschen Gesundheitssystems wird in der Reform nicht angegangen. Vielmehr werden die ohnehin knappen Mittel nicht aufgestockt, sondern zu Gunsten der großen Häuser und Unikliniken anders verteilt. Die Einteilung hat somit weitreichende Konsequenzen: Kleinere Kliniken, die in Stufe 1 für die Grundversorgung eingeteilt werden, geraten wirtschaftlich in Schieflage.
Regionalgeschäftsführerin May: „In Niedersachsen stehen wir auch noch vor einem weiteren Problem: Zu den ohnehin durch die Reform ins Abseits geschobenen Kliniken addieren sich gemäß den Reformvorschlägen noch die Fachkliniken hinzu. Der Reform zufolge sollen Fachkliniken künftig in Stufe 2 (Schwerpunktversorgung) und Stufe 3 (Maximalversorger) integriert werden und in ihrer bisherigen Form nicht mehr existieren. Eine bauliche und inhaltliche Integration der Häuser wäre äußerst aufwendig und komplex und würde erneute Investitionen erfordern. Zu diesen reichen die aktuellen finanziellen Ressourcen der Krankenhäuser jedoch nicht aus.“
Auch das schon lange währende Problem des Fachkräftemangels wird in der Reform nicht angegangen. Die Facharztausbildung wird durch die unkontrollierte Konsolidierung an Kliniken sogar erschwert bzw. immer unattraktiver, wovon vor allem ländliche Regionen betroffen wären. Zudem müsste das Pflegepersonal geschlossener Kliniken oft einen erheblich weiteren Arbeitsweg in Kauf nehmen, um zur nächsten noch existierenden Klinik zu kommen. Dadurch würde das Berufsbild unzweifelhaft noch weiter an Attraktivität einbüßen – ein Umstand, der angesichts des gravierenden Fachkräftemangels nicht ignoriert werden darf. Weit über den Pflegesektor hinaus erfüllen Krankenhäuser als große, regionale Arbeitgeber eine zentrale Rolle im Wirtschafts- und Sozialgefüge vieler Landkreise. Nicht selten sind die Kliniken an ihren Standorten die größten Arbeitgeber. Eine Schließung der Kliniken hätte entsprechende irreversible Folgen weit über den Gesundheitssektor hinaus.
Kai Hankeln, Vorstandsvorsitzender der Asklepios Kliniken Gruppe: „Es ist unumstritten, dass das deutsche Gesundheitssystem eine Reform nötig hat. Doch Minister Lauterbach scheut eine offene Diskussion über Klinikschließungen, stattdessen entzieht er vielen Häusern die wirtschaftliche Grundlage und jagt sie so in einen brutalen, darwinistischen Verdrängungswettbewerb. Ich sehe die Gefahr, dass Probleme wie die chronische Unterfinanzierung der Krankenhauslandschaft, der Fachkräftemangel und die Bürokratisierung sogar noch verschärft werden. Als Klinikgruppe, die in 14 Bundesländern tätig ist, haben wir einen guten Überblick über die Lage in Deutschland. Gleichzeitig kennen wir aufgrund unserer dezentralen Struktur die örtlichen Bedürfnisse unserer Patient:innen und Mitarbeiter:innen. Asklepios bringt dieses Wissen gerne im Diskurs ein, damit die Reform zweckdienlich und praxistauglich wird. Bislang sind Vertreter:innen von Fachverbänden, Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen in der Reformkommission jedoch nicht vertreten. Das ist nicht weiter akzeptabel.“
Foto: Asklepios