Göttingen (red). Ein Rückblick des 1. SC Göttingen 05: Den 20. Februar 1982 wird wohl niemand der dabei war jemals vergessen. Der äußere Rahmen für dieses Fußballfest stimmte jedenfalls. Das Jahnstadion war herausgeputzt, der Himmel strahlend blau und die Sonne schien. Dieser Samstag hätte nur etwas wärmer sein können, es war bitterkalt.
Verkehrschaos
Schon lange vor Spielbeginn herrscht rund um das Jahnstadion Verkehrschaos. Schon die Autokennzeichen lassen vermuten, wie dieses Spiel in und um Göttingen herum die Fußballfans elektrisierte. Die Fans kamen aus allen Himmelsrichtungen, der Ascherberg war tief bis Rosdorf und nach Göttingen rechts und links zugeparkt, Erinnerungen an bessere, große Fußballballfesttage Ende der 60er und 70er Jahre wurden wieder lebendig.
Weit über 30000 Karten hätten verkauft werden können
Die damalige Geschäftsführerin Gertrud „Trude“ Jander: „Wir hätten weit mehr als 30000 Karten verkaufen können, aber das Jahnstadion war voll. Ausverkauft.“ Der Hamburger SV ist damals das Pokaltraumlos und aktueller Tabellenführer in der 1. Bundesliga. Damals gab es keine bessere Mannschaft in Deutschland. Neben dem Platz glänzten Trainerikone Ernst Happel und Manager Günter Netzer. Auf dem Platz standen mit Horst Hrubesch und Manfred Kaltz zwei spätere Vizeweltmeister und neun Spieler die den HSV im Sommer 1983 in Athen zum Europapokalsieger der Landesmeister (heute Champions League) machen sollten. Franz Beckenbauer und Felix Magath fehlten leider verletzungsbedingt. Gerade das Fehlen von Magath sollte sollte sich negativ bemerkbar machen. Aber auch der 1. SC Göttingen 05 brauchte sich nicht zu verstecken. In der Oberliga Nord zählte 05 zu den Spitzenmannschaften und es bestanden noch alle Chancen die Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga zu erreichen und in der Startelf standen gegen den HSV standen neun Spieler mit Zweitligaerfahrung.
Schwierige Platzverhältnisse kammen 05 entgegen
Der Hamburger SV ist natürlich trotzdem klarer Favorit. Doch 05-Trainer Helmut Wiegandt fand ganz offensichtlich die richtigen Worte. Der 1. SC Göttingen 05 war top eingestellt, hatte den nötigen Respekt vor diesem großen HSV, aber keine Angst und jede Mut und Selbstbewusstsein. Der Hamburger SV hingegen harderte vor allem mit den schlechten Platzverhältnissen. Von unten tiefgefroren und oben durch die Sonne nur leicht angetaut war der Platz sehr schmierig und rutschig, Kombinationsfußball war daher nicht so gut möglich, eher der rustikale Fußballstil gefragt. Ein kleiner Vorteil für 05.
Lange kein Klassenunterschied
Der HSV hat mit Spielbeginn zwar mehr Ballbesitz, große Torchancen sind aber Mangelware. Der 1. SC Göttingen 05 schaffte es immer wieder die Räume eng zu machen, immer war ein 05er zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle. Ein Klassenunterschied war nicht zu erkennen. Und so benötigte der HSV auch ein Eigentor vom 1. SC Göttingen 05 um in der 36. Spielminute in doch etwas glücklich in Führung zu gehen. Eine Flanke von Manfred Kaltz wurde von dem jungen 05er Bernhard Schröder unglücklich ins eigene Tor „bugsiert“. Keine Abwehrchance für 05-Torhüter Heinz-Peter Meyn.
05 schlug zurück
Viele im Jahnstadion dachten jetzt, dass Spiel würde jetzt den lange erwarten Verlauf nehmen und der Hamburger SV ohne größere Probleme ins Halbfinale einziehen. Doch schon sieben Minuten später wurden alle eines Besseren belehrt. Nach Vorarbeit von Bernhard Schröder und Vorlage von „Calle“ Dybowski erzielte Ulrich Thorke in der 43. Spielminute den viel umjubelten und nicht ganz unverdienten Ausgleich für den 1. SC Göttingen 05. Mit einem 1:1 ging es dann auch in die Halbzeitpause. Und das Spiel blieb auch nach der Halbzeitpause erst einmal offen. Der HSV tat sich weiter schwer.
Für sieben Minuten lag eine Sensation in der Luft
In der 59. Spielminute bahnte sich eine Sensation an, ein zweites Eppingen für den HSV. Nach einem Freistoß von Detlef Wolter von der rechten Seite wurde der Ball von der HSV - Mauer zu Ulrich Thorke abgefälscht, der den Ball eiskalt zur 2:1 Führung für 05 im HSV – Tor versenkte. Im „überfüllten“ Jahnstadion spielen sich unglaubliche Szenen ab, wildfremde Menschen lagen sich in den Armen, die Sensation lag in der Luft. Doppeltorschütze Ulrich Thorke: „Das Pokalspiel gegen den Hamburger SV war das Spiel meines Lebens“. Unvergesslich.
Wende durch Thomas von Heesen
In der 62. Spielminute wechselte Ernst Happel dann Thomas von Heesen für Jürgen Groh ein. Was für ein Instinkt. Vier Minuten später bereitete jener Thomas von Heesen mit seinem zweiten Ballkontakt den Ausgleich für den HSV durch Lars Bastrup ein. Der HSV wurde jetzt immer stärker und zielstrebiger, während bei 05 die Kräfte so langsam schwanden. Neun Minuten vor Spielschluss war es dann wiederum Thomas von Heesen der den Ball 20 Meter vor dem Gehäuse vom 1. SC Göttingen 05 geschickt ablegte, so dass Jürgen Milewski die erneute Führung zum 3:2 für den Hamburger SV erzielen konnte. Für die endgültige Entscheidung in einem fairen Spiel (keine Gelben Karten) sorgte Thomas von Heesen in der 87. Spielminute mit einem unhaltbaren Schuss aus 15 Metern dann selbst. Hans-Joachim „Achim“ Pilz: Die Spieler vom HSV haben sich vor, während und nach dem Spiel uns gegenüber absolut fair und respektvoll verhalten. Da war keiner angehoben.
Von wegen arrogant
Aber auch neben dem Platz hatte sich der Hamburger SV damals auch ohne große öffentliche Wahrnehmung sehr generös gezeigt. Geschäftsführerin Frau Jander:“ Als nach dem Wiederholungsspiel und dem Sieg unserer Mannschaft gegen 1. FC Bochholt feststand das wir der nächste Pokalgegner sind lud der HSV Mannschaft und Trainer sowie offizielle zu einem Bundesligaspiel nach Hamburg ein. Dazwischen dem Pokalwiederholungsspiel und dem Spiel gegen den Hamburger SV nur eine kurze Zeit lag und ich mich um den Kartenverkauf und vieles weiteres kümmern musste konnte ich nicht mit nach Hamburg. Als der HSV dann zum Pokalspiel nach Göttingen kam bemerkten dies auch die Offiziellen vom HSV und luden mich kurzer Hand nach Hamburg zum UEFA-Cup Spiel gegen Xamax Neuchatel ein. Der HSV zahlte wie selbstverständlich die Zugfahrt, den Aufenthalt in Hamburg und die Hotelübernachtung. Eine wirklich tolle und große Geste über die ich mich sehr gefreut habe“. Aber der HSV war nicht nur hier großzügig. Freitagabend vor dem Pokalspiel klingelte bei Frau Jander zu Hause das Telefon, am anderen Ende Günter Netzer. Frau Jander sagte er, die Abrechnung zum Pokalspiel machen wir aber nicht bei Ihnen auf der Geschäftsstelle, sondern im Hotel, ich lade Sie zum Frühstück ein. Erst wollte Frau Jander nicht annehmen, aber ihre Kinder stimmten sie um und sagten ihr, das kannst du doch wohl nicht machen und den Günter Netzer eine Abfuhr erteilen. Am Sonntagmorgen wurde dann das Pokalspiel beim Frühstück im Hotel Ropeter abgerechnet. Noch heute kommt Frau Jander ins schwärmen:“Die stellten schon alle etwas da in ihren dunkelblauen Anzügen, weißen Hemden und Krawatten. Das war schon alles etwas Besonderes“. Der Hamburger SV zog ins Halbfinale und 05 hatte durch dieses tolle Spiel viele Sympathien gewonnen und mal wieder bundesweit positiv auf sich aufmerksam gemacht, aber auch der Hamburger SV hat sich zumindest neben Platz meisterlich präsentiert.
Folgende Spieler waren aufgeboten:
1. SC Göttingen 05: Heinz-Peter Meyn – Reinald Klein, Karl-Heinz Dickkopf, Wolfgang Kellner, Bernhard Schröder – Heinz-Dieter Schwarck – Ulrich Thorke (83. Frank Hasenkopf), Detlef Wolter (Peter Henze), Wilhelm Dybowski – Heinz-Wilhelm Fesser, Harald Snater
Hamburger SV: Uli Stein – Jürgen Groh (62. Thomas von Heesen), Holger Hieronymus, Dietmar Jacobs, Manfred Kaltz – Jimmy Hartwig, Casper Memering, Bernd Wehmeyer, Lars Bastrup – Horst Hrubesch, Jürgen Milewski
Foto: 1. SC Göttingen 05/ Archiv