Bad Gandersheim (r). Genau 50 Jahre ist es her, dass die ersten Frauen in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig als Pfarrerinnen ordiniert wurden. Doch der Weg der Frauen ins Pfarramt war lang und oft auch steinig. Das zeigt ab dem 1. Juli 2018 eine Ausstellung in der Stiftskirche Bad Gandersheim, die um 11 Uhr mit einem Festgottesdienst feierlich eröffnet wird. Unter dem Motto „Talar und Lippenstift. 50 Jahre Frauen im Pfarramt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig“ werden Lebenswege von Frauen als Pfarrerinnen nachgezeichnet. Welche Hindernisse mussten sie überwinden? Welche Vorurteile gab es gegenüber Frauen im Pfarramt? Die sehr lebendige Ausstellung präsentiert historische Persönlichkeiten wie die Kanonisse Roswitha von Gandersheim aus dem 10. Jahrhundert ebenso wie die Erlebnisse und Lebensläufe heutiger Pastorinnen.
Meike Bräuer-Ehgart, Stiftskirchenpfarrerin in Bad Gandersheim und stellvertretende Pröpstin, ist eine der Frauen, deren Geschichte in der Ausstellung beleuchtet wird. Sie weiß: „Auch heute gibt es zum Teil noch Vorurteile gegenüber Pastorinnen. Die Ausstellung zeigt, wie hart sich Frauen den Weg ins Pfarramt erkämpfen mussten und wie viele Hindernisse sie dabei überwinden mussten.“
Über einen langen Zeitraum durften Frauen in der Kirche lediglich im Hintergrund wirken, hatten jedoch keine offiziellen Ämter inne. Später kamen Tätigkeiten wie Gemeinde- oder Pfarrhelferin dazu. Die ersten Pfarrvikarinnen versahen ihren Dienst vor allem in Krankenhäusern oder Gefängnissen, öffentliche Gottesdienste zu halten war ihnen strikt untersagt. Über die „Zöllibatsklausel“ wurde gar nicht erst diskutiert – heiratete eine Pfarrvikarin, endete das Dienstverhältnis. Die ersten Pfarrerinnen hatten es schwer, respektiert zu werden. Sie wurden belächelt, kritisiert und abgewertet, oft sogar durch männliche Kollegen.
Die Ordination der sechs Pfarrerinnen liegt nun ein halbes Jahrhundert zurück. Doch wie steht es mit der Gleichberechtigung heute? Pfarrerin Bräuer-Ehgart: „Die Entwicklungen in der Kirche verläuft natürlich immer auch parallel zur gesellschaftlichen Entwicklung.“ Aber auch aktuell – und das zeigt die Ausstellung sehr eindrücklich – gibt es noch Nachholbedarf in Sachen Gleichberechtigung. „Gerade Pfarrerinnen mit Kindern müssen sich häufig doppelt beweisen“, ist die Erfahrung von Bräuer-Ehgart: „Als meine Kinder noch kleiner waren, wurde ich bei Abendveranstaltungen oder bei Gottesdiensten häufig angesprochen, wer denn jetzt auf sie aufpassen würde? Diese Frage ist meinem Mann, der ebenfalls Pfarrer ist, nie gestellt worden!“.
„Talar und Lippenstift“ – das steht für viele spannende und mutige Lebensentwürfe von Frauen aus verschiedenen Jahrhunderten. Die Besucherinnen und Besucher können sich in der Stiftskirche ein sehr eindrückliches Bild machen. Fotos, Briefe, sakrale Gegenstände sowie persönliche Erlebnisse und Ausstellungsstücke lassen die Biographien lebendig werden: beispielsweise die „Rabenhandpuppe“ einer Pfarrerin, die als alleinerziehende Mutter gegen den Vorwurf der Rabenmutter kämpfen muss oder ein schwarzes Umstandskleid, getragen unter dem Talar. Auch Frauen-Talare sind zu sehen – nachdem die Pfarrerinnen sich das schwarze Gewand „erstritten“ hatten, wünschten sich viele eine eigens für Frauen zugeschnittene Amtskleidung.
Frauen im Talar sorgt für Gesprächsstoff, weiß Pfarrerin Bräuer-Ehgart: „Frauen im Amt werden, anders als Männer, häufig auch mit merkwürdigen Bildern konfrontiert. Ich bin zum Beispiel seit meinem ersten Amtsjahr immer wieder gefragt worden, was ich eigentlich unter meinem Talar anhabe. Auch Kolleginnen berichten das, aber ich habe noch von keinem Pfarrer gehört, dem diese Frage je gestellt worden ist.“
Die Gandersheimer Stiftskirche als Ausstellungsort wird als authentischer Ort der „starken Frauen“ der Braunschweigischen Landeskirche in die Ausstellung mit einbezogen. Dies ermöglicht eine Begegnung mit den „geistlichen Frauen“ an ihrem Wirkungsort. Die Stiftskirche war von 881 bis 1810 der Lebensmittelpunkt einer geistlichen Frauengemeinschaft.
Ergänzt wird die Ausstellungseröffnung durch ein breites Rahmenprogramm mit Lesungen, Vorträgen, Führungen und einem Frauenfrühstück.
Foto: Hillebrecht